Man nennt mich die Schweineflüsterin

Nach zwei Monaten in Australien und einem Monat auf der Farm wurde bereits über Georgie und mich in der Lokalpresse berichtet. Wir hatten bereits mehrere Altenheime besucht und natürlich erregt ein Schwein und eine Deutsche in australischen Altenheimen aufsehen. Meine Erfahrungen und Erlebnisse habe ich in einer Rundmail mit meinen Weiterbildungskollegen geteilt. Eins kommt zum anderen und so finde ich mich nach einigen Monaten auch in der deutschen Fachzeitschrift, Tiergestützte, wieder. Was ich damals über mein Ankommen auf der Farm, meine Arbeit mit Georgie, dem Schwein, und was ich dabei gelernt habe, geschrieben habe, könnt ihr hier nochmal nachlesen.

Rückblick: Es ist das Jahr 2015. Im Juni haben meine Schwester und ich die Ausbildung zur Fachkraft für tiergestützte Intervention an Institut für soziales Lernen mit Tieren erfolgreich abgeschlossen. Der Traum vom tiergestützten Arbeiten und einem gemeinsamen Hof bildet das „Grundgerüst“ unserer Vorstellung über unsere berufliche Zukunft. Wie das Ganze im Detail aussehen soll, was ich anbieten möchte, das ist alles größtenteils noch offen. In meinem Kopf schwirren so viele Ideen und Konzepte herum.

Die einzige Kehrseite, die dieser Traum zu diesem Zeitpunkt für mich noch hat, ist die Verpflichtung, Verantwortung und Bindung, die man mit einem eigenen Hof eingeht. Noch ist mein Freiheitsdrang zu groß dafür, es zieht mich in die Ferne. Reisen, dabei Erfahrungen im Bereich Tierhaltung, Landwirtschaft und tiergestütztem Arbeiten machen und Ideen für mein Konzept sammeln, die meinem Grundgerüst langsam Farbe verleihen – das hingegen klingt für mich nach einem guten Plan für 2016.

Ich bin bereit für neue Abenteuer!

Zum Abschluss des Jahres 2015 sitze ich deshalb im Flieger und lande nach 22 Stunden pünktlich zum Feuerwerk in Sydney. Australien. Es war ebenfalls ein lang gehegter Traum, hierhin nach meinem ersten Aufenthalt in 2008 zurückzukehren. Mit dem Work and Travel Visum darf ich nun die nächsten 12 Monate hier leben und arbeiten. Ich bin bereit für neue Abenteuer!

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Im November und Dezember, kurz vor meiner Abreise nach Australien, habe ich etwa 40 Farmen und Institutionen kontaktiert, deren Angebote oder Internetpräsenz mich neugierig gemacht hatte. Ich konnte bei meiner Recherche nicht viel über tiergestützte Angebote in Australien finden. Unter vielen Absagen und nicht beantworten Emails gab es aber auch positive Rückmeldungen. So war beispielsweise eine Frau namens Elaine Hamer von „Barcoos Farmstay“ in Bathurst ganz angetan von meiner Vita und den Möglichkeiten der tiergestützten Arbeit. Sie schrieb mir, dass sie bereits mit ihrem Border Collie, Ruby, und dem Shetlandpony, Hunter, Altenheime besucht hat. Des Weiteren erwähnte sie, dass sie gerade einen Wurf junger Ferkel hat.

Ich schickte Elaine damals noch von Deutschland aus ein Video über die Therapiearbeit von den Schweinen Rudi und Felix und deren Besitzer Daan Vermeulen, der in meiner Weiterbildung am Institut für soziales Lernen mit Tieren referiert hatte. Elaine schien vollends begeistert von Daans Arbeit und der Idee, Schweine in der tiergestützten Therapie einzusetzen. Eins kam zum anderen und schließlich lud Elaine mich ein, zu ihr auf den Hof zu kommen und mit ihr zu arbeiten.

dsc_1220So begrüßen mich, sechs Wochen nach dem ersten Emailkontakt, Elaine und Ken auf Barcoos Farmstay, mit der typischen australischen Offenheit. Australien hat Platz, viel Platz, so ist die Farm für deutsche Verhältnisse riesig, für australische jedoch winzig. Elaine ist gelernte Krankenschwester, hat früher im Altenwohnheim gearbeitet, sich jedoch irgendwann nicht mehr mit den Arbeitsbedingungen identifizieren können. Der Hof und die Landwirtschaft waren bereits vorhanden, als ihr die Idee kam, Ferien auf dem Bauernhof anzubieten. Der Name des Farmstays beruht auf ihrem ersten Clydesdale Pferd, Barcoos. Barcoos hatte sie damals für ihre erkrankte Tochter gekauft, da sie sich eine therapeutische Wirkung erhoffte. Seit nunmehr sieben Jahren betreut Elaine Feriengäste und organisiert alles rundum den Farmstay. Ken ist ein typischer australischer Farmer und kümmert sich um das Heu- und Wollbusiness. Zu den tierischen dsc_1390Bewohner auf Barcoos zählen Hühner, Ponys, Pferde, Schafe, Schafe, Schafe, Alpkas, Hunde, noch mehr Schafe, Enten, Gänse, Kühe und Schweine. Die Farm ist ein beliebtes Urlaubsziel für junge Familien aus Sydney, die dem Dschungel der Großstadt für kurze Zeit entfliehen möchten und sich auf das Abenteuer Ferien auf den Bauernhof einlassen. Kinder wie auch Erwachsene haben meist wenig Erfahrung und bisherige Berührungspunkte mit Tieren. Für die Kinder werden morgens und abends Aktivitäten mit den Tieren angeboten, die unter anderem die Fütterng und Tierpflege beinhalten. Das Highlight für alle Kinder ist das Eiersammeln, die sie danach behalten dürfen, auch wenn das ein oder andere Kind die Eier aus dem Supermarkt den frischen Eiern vorzieht.

 

Innerlich schrecke ich zusammen, äußerlich lasse ich mir nichts anmerken

Elaine zeigt mir den Hof, meine Unterkunft, einen schönen alten Wohnwagen und stellt mich den Tieren vor, die mich fröhlich begrüßen. Ich bin ganz angetan von der noch kleinen Georgie, einer Kreuzung aus Berkshire und Sattelschwein. Für Elaine ist ganz klar: Meine Hauptaufgabe wird sein, Georgie zu trainieren. Innerlich schrecke ich zusammen, äußerlich lasse ich mir nichts anmerken. Ich soll jetzt das Schwein trainieren? Ich bin doch selbst ganz schweineunerfahren. So bekomme ich bereits bei meiner ersten Anlaufstelle in Australien das volle Programm in Sachen Dazulernen und Erfahrung sammeln. Hatte ich mir ja schließlich so gewünscht…

dsc_0094In der darauffolgenden Tagen lese ich viel über Schweine und Trainingsmethoden und verbringe viel Zeit mit Georgie, um Vertrauen aufzubauen und sie im Kontakt mit anderen Tieren und Artgenossen zu beobachten. Während mir die Hundesprache relativ vertraut ist, bin ich auf dem Gebiet der Schweinesprache noch ein Anfänger. Letztes Jahr habe ich, neben meiner Hospitation am Institut für soziales Lernen mit Tieren, ein dreiwöchiges Praktikum bei Dr. Juliane Marliani, auf ihrem Begegnungshof, TOMTE‘s HOF, gemacht. Hier hatte ich zum ersten Mal intensiven Schweinekontakt und Einblick in deren Training. img_0861Die Tiere auf TOMTE’s HOF wurden mit der Methode der positiven Konditionierung trainiert, das heißt gewolltes/gefragtes Verhalten wird belohnt. Die Belohnung wid mit einem Signal gekoppelt, auch als Clickertraining bekannt. Hierbei ist insbesondere die schnelle Reaktion des Trainers gefragt: Zeigt das Tier das gewünschte Verhalten, sollte sofort das Signal und die darauffolgende Belohnung erfolgen.

Nun also Clickertraining mit Georgie. Um meine Hände frei zu haben, entscheide ich mich anstatt des Clickers für eine Pfeife. Ich kombiniere die positive Konditionierung mit dem Targettraining. Dabei wird das Tier darauf trainiert, mit der Nase oder Pfote das Target zu berühren. Bei Berührung des Targets folgen sofort ein Pfeifen und eine Belohnung. Ist das Tier mit dieser Übung vertraut, kann das Target bewegt werden, so dass das Tier dem Target folgt. So lassen sich Übungen und Bewegungen, die sonst schwer zu trainieren wären, Schritt für Schritt leicht beibringen.

Ich habe große Angst etwas falsch zu machen – aber es nützt ja nichts

Irgendwann muss ich dann also mal anfangen, Schluss mit Theorie, rein in die Praxis. Ich habe große Angst, etwas falsch zu machen – aber es nützt ja nichts. Ich bastele mir aus einem Stock und einem Tennisball das Target. Als Belohnung dient meist Banane, Apfel oder ein Mix aus Mais, Schweinepellets und Haferbrei, den Georgie auf einem großen Plastiklöffel gefüttert bekommt. Elaine hat Georgie bereits vor meiner Ankunft „Sitz“ beigebracht. Kinder können Georgie unter Aufsicht mit einem langen Plastiklöffel füttern, während sie vor ihnen sitzt. Dies gestaltet sich zu Beginn meines Trainings jedoch noch sehr unruhig und stürmisch. Die ersten Tage arbeite ich daran, diesem Fütterungsritual etwas mehr Ruhe zu verleihen.

img_0451Nicht nur Georgie, sondern auch ich lerne unheimlich viel während der Trainingseinheiten. In der Ruhe liegen die Kraft und der Erfolg. Wir Menschen neigen dazu, Handlungen und das Training zu sehr nach unserem Denken und unserer Logik zu gestalten. Was für uns logisch erscheint, muss aber nicht unbedingt richtig sein und es heißt schon gar nicht, dass es für das Tier logisch ist. Für mich besteht Tiertraining deswegen aus einer guten Zusammenarbeit und beidseitigem Lernen. Während das jeweilige Tier einen neuen Trick lernt, lehrt es mich immer wieder aufs Neue, bewusst in diesem Moment zu sein.

Im Tierkontakt und vor allem im Training sollte man sich im Vorfeld unbedingt mit der jeweiligen Tierart auseinandersetzen. Welche Sinne nutzt das Tier am meisten, unter welchen img_3510 Lebensbedingungen lebt es ursprünglich in der Natur, welche Sozialstruktur hat diese Tierart, wie kommunizieren die Tiere untereinander und wie ist ihre Körpersprache zu lesen und zu deuten?

Georgie hat eine unheimlich gute Auffassungsgabe und wir haben einen schnellen Lernerfolg. Georgie folgt dem Target zielgenau und ich kombiniere die gewünschten Aktivtäten mit einem Kommando, welches eine Kombination aus einem Wort und einer Handbewegung ist. Nach kurzer Zeit kann ich das Target ganz weglassen und arbeite nur noch mit meiner Stimme und meiner Körpersprache. Während meines Aufenthaltes auf Barcoos Farmstay lernt Georgie in den Hänger zu gehen/springen, sich ein Geschirr anlegen zu lassen, an der Leine zu gehen, sich auf Kommando zu setzen, rechts und links herum um die eigene Achse zu drehen, um mich herum zu laufen, rückwärts zu gehen, Pfote zu geben und einen Ball zu rollen.

Das strahlen in den Augen und das Lachen in den Gesichtern werde ich nie vergessen

img_0404Nach einer Woche Training haben wir bereits den ersten Besuch im Altenheim, einer von insgesamt sechs Besuchen während meiner Zeit auf der Farm. Elaine, Paddi das Schaf, Georgie und ich werden schnell zu einem eingespielten Team. Die Bewohner sitzen bei unseren Besuchen in einem Stuhlkreis und erwarten uns bereits in ihrem Aufenthaltsraum. Ein Schwein und ein Schaf im Wohnheim, das lockt auch viele Angestellte in den Aufenthaltsraum, die uns bei unserem Einsatz engagiert unterstützten. Sobald wir den Raum betreten, ist die Begeisterung der Bewohner nahezu in der Luft spürbar. Ich laufe mit Georgie die Runde und wir begrüßen jeden Bewohner persönlich. Ich biete ihnen an, Georgie mit meiner Hilfe zu füttern und zu streicheln. Das Strahlen in den Augen und das Lachen in den Gesichtern werde ich nie vergessen. Ganz besondere Momente, die mir wieder einmal verdeutlichen und mich bestärken, dass ich genau das machen möchte.

Als Georgie und ich unsere Tricks vorführen, können die Bewohner es kaum glauben, sowas haben sie noch nicht gesehen. Der Geräuschpegel steigt stetig an, immer mehr Gespräche unter den Bewohnern entstehen. Viele Bewohner in dieser Region haben selbst auf Farmen gelebt und sind mit Farmtieren sehr vertraut. Dies liefert Gesprächsstoff mit dem Sitznachbarn.

Zusätzlich zu den Gruppensettings besuchen wir auch bettlägerige Bewohner auf ihren Zimmern und in einem Altenwohnheim besuchen wir die Station für Demenzerkrankte. Georgie ist unheimlich feinfühlig und vorsichtig, wenn sie von den Bewohnern gefüttert wird. img_0826-2Nichtsdestotrotz ist wie bei jedem tiergestützten Einsatz die Wachsamkeit der Fachkraft gefragt, um Unfälle zu vermeiden. Schnell wird mal eine unkoordinierte Bewegung ausgeführt oder in der img_20160930_151331einen oder anderen Ecke findet sich eine Tablette auf dem Boden. Auch wenn ich merke, dass Georgie genug hat, beende ich den Einsatz. Da es in Australien sehr heiß ist und Schweine nicht schwitzen, sondern durch Wasser ihre Körpertemperatur runterkühlen, darf bei jedem Besuch im Altenheim die Plastikwanne nicht fehlen. Wir füllen Georgie ein kühles Bad ein, so dass sie sich direkt nach dem Einsatz vor Ort noch abkühlen kann.

Es dauert nicht lange, bis es sich in der australischen Kleinstadt herumgesprochen hat, dass ein Schwein und ein Schaf die Bewohner in den Altenheimen besuchen. Ehe ich mich versehe, finde ich mich auf dem Titelblatt der lokalen Presse wieder. Den Titel „Bringing home the bacon to residents“ finde ich sehr daneben. Man sagt mir, das wäre typisch für Australien.

Dreimal habe ich versucht abzureisen und bin dann doch immer noch länger geblieben

Neben dem Eiersammeln hat sich nun „Georgie, das Schwein, füttern“ zu einer der beliebtesten Aktivitäten der Ferienkinder entwickelt. Die Kinder füttern Georgie mit dem langen Plastiklöffel und üben sich in ihrer Körpersprache. Die Kommandos erfordern eine laute, klare Stimme und ebenso ein klares Körpersignal, damit Georgie den gewünschten Trick ausführt. Ich bleibe insgesamt drei Monate auf Barcoos Farmstay und bin mittlerweile als die Schweineflüsterin bekannt. Dreimal habe ich versucht abzureisen und bin dann doch immer noch länger geblieben.

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Der Abschied fällt mir unheimlich schwer, schließlich kann man zu Tieren nicht so einfach den Kontakt halten wie zu Menschen. Georgie und ich haben eine enge Bindung aufgebaut und ich vermisse sie sehr. Das Bild, wie sie angerannt kommt und ihre Ohren dabei auf und ab wippen, wenn ich sie rufe, erfüllt mein Herz immer mit Freunde und zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht, wenn ich daran denke. Ende 2016, vor meiner Abreise aus Australien, werde ich noch einmal zurückkehren. Ich bin sehr gespannt, wie Georgie auf unser Wiedersehen reagieren wird. Sie wird dann wohl das doppelte bis dreifache Gewicht haben.

Zu verlieren haben wir nichts, im schlimmsten Fall gewinnen wir das Wissen und die Erkenntnis, dass es nicht das Richtige für einen selbst ist.

Ich bin sehr dankbar für diese wundervolle Erfahrung und die Offenheit und das Vertrauen von Ken und Elaine. Ich habe unheimlich viel gelernt, vor allem über mich selbst. Alles ist möglich, wir müssen es nur wollen und uns unseren Ängsten und eigenen Grenzen im Kopf stellen anstatt davonzurennen oder uns von unserem Umfeld einreden zu lassen, dass es nicht geht. Zu verlieren haben wir nichts, im schlimmsten Fall gewinnen wir das Wissen und die Erkenntnis, dass es nicht das Richtige für einen selbst ist.

Ich möchte während meines Australienaufenthaltes noch andere Konzepte und Institutionen kennenlernen, vor allem möchte ich dieses Jahr dazu nutzen, in allen möglichen Bereichen zu lernen. Zu diesen Bereichen zählen vor allem die Herstellung von handgefertigten Sachen und biologische Landwirtschaft. So habe ich gerade eine Woche in der Region von Nimbin verbracht, gelernt wie man Ziegen melkt und Käse herstellt.

Mehr Bilder zu meiner Zeit auf Barcoos Farmstay und den tierischen Bewohnern kannst du dir in der Galerie anschauen.

 

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Kaum in Australien auf der Farm angekommen lernte ich Georgie kennen. Ich wurde zur Schweinebetreuerin des zweimonate alten Ferkels ernnant. Meine mangelnde Erfahrung versetzte mich erstmal in Schockstarre. Kurz darauf war ich als die Schweineflüsterin bekannt. Lies die ganze Geschichte von Georgie und mir und wie wir als Team Altenheime besuchten.

2 Comments Man nennt mich die Schweineflüsterin

  1. Suzanne 11. Oktober 2016 at 20:24

    Toll <3 Und die Bilder in der Galerie sind auch wunderschön!

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  2. Pingback: A Girl with a Gift for Animals. | Barcoos Barn

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