Ich war mit meinem Work & Travel Visum nach Australien gekommen, um auf unterschiedlichen Farmen zu arbeiten Ich wollte möglichst viel im Bereich Tierhaltung und tiergestützte Therapie lernen und so viel wie möglich von diesem zauberhaften Land sehen. Meine erste Anlaufstelle, die ich bereits aus Deutschland organisiert hatte, lag ca. 220 km westlich von Sydney entfernt, in Bus- und Zugfahrt umgerechnet vier Stunden. Barcoos Farmstay in Perthville. Dort kam ich Anfang Februar an und hatte geplant ca. zwei Wochen zu bleiben. Geblieben bin ich, mit Unterbrechungen, insgesamt sechs Monate. Es wurde zu meinem Zuhause und meiner Anlaufstelle in Australien, einem Ort an den ich immer wieder gerne zurückgekommen bin. All meine Momente in einen Artikel zu packen ist nahezu unmöglich.
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Ich sitze im Zug Richtung Lithgow, das erste von so vielen Malen. Die Zugfahrt durch die wundervollen Blue Mountains ist ein Traum. Ab Lithgow fahre ich noch eine Stunde mit dem Bus nach Bathurst. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ich das erste Mal nach Bathurst reingefahren bin. Das Gefühl, wenn du zum ersten Mal an einem Ort bist und wie es sich verändert, sobald du vertraut mit diesem Ort bist. Ich bin aufgeregt. Elaine, die Farmbesitzerin wird mich gleich vom Bahnhof abholen. Wie wird sie wohl sein und wie wird meine Zeit auf der Farm werden? Meine erste Farmerfahrung in Australien war ja alles andere als entspannt.
Ein Lady begrüßt mich herzlich mit einer Umarmung. Wir fahren kurz durch Bathurst und sie erklärt mir wo ich was finden kann. Das wichtigste dabei ist der Supermarkt, den soll ich dann nämlich in Zukunft immer anfahren. Elaine fährt nämlich nicht gerne einkaufen. Ich soll Auto fahren? Auf der anderen Straßeneite? Allein dieser Gedanke überfordert mich gerade maßlos. Die Farm selbst liegt ca. 15 min außerhalb von Bathurst, kurz nach Perthville. Die In Perthville gibt es eine Tankstelle und einen Pub. Sprit fürs Auto und Sprit für den Farmer.
Das Grundstück der Farm ist RIESIG und für australische Verhältnisse doch sehr klein! Es gibt drei Ferienwohnungen und einen Campingplatz, auf welchem auch meine Unterkunft steht, ein schnuckeliger Wohnwagen in den Farben weiß und gelb. Meine große Angst sind die Spinnen und vor allem die Schlangen, die hier in Australien ja nun mal zum Alltag gehören und leider auch nicht ganz ungefährlich sind. Auf der anderen Farm hatte ich schon das Vergnügen einer Schlangenbegegnung. Dort war beinahe auf eine Schlange getreten, die sich trotz meines Trampelns nicht bewegt hatte. Mit dem Schock meines Lebens bin ich heulend umgekehrt und ziemlich schnell gerannt. Die weitere Arbeit auf dem Feld für diesen Tag hatte ich dann verweigert. So frage ich natürlich auch Elaine nach den Schlangen und Spinnen hier in Bathurst. Auch wenn mir die Antwort natürlich schon im Vorfeld bewusst ist, hofft man doch irgendwie, dass die sie lautet: „Ach mach dir keine Sorgen, die sieht man hier kaum.“ Diese Antwort kam wie schon vermutet leider nicht.
Ich erinnere mich, wie ich die erste Zeit auf der Farm immer in Habachtstellung rumgelaufen bin. Mein Laufen war auch hier eher ein Trampeln, in der Hoffnung die Schlangen wissen zu lassen: „Hallo, hier komme ich und ich bevorzuge euch nicht zu begegnen!“. Die Story zu dem nächtlichen Spinnenbesuch meiner Vorgängerin im Wohnwagen hat mich auch eher weniger positiv beeindruckt. Jeden Abend bevor ich zu Bett gehe wird ein ausgiebiger Spinnencheck im Wohnwagen durchgefügt, meist zweimal oder dreimal! Sicher ist sicher.
Nicht gewollt – bekommen!
Rückblickend, auf viele Situationen im Leben, kann ich sagen, dass genau die Situationen vor denen man Angst hat und die man sich bildlich vor Augen ausmalt, genau diese treten ein. Deinen Gedanken folgt Energie. Positiv sowie negativ. Meine Horrorvorstellung war die Schlangenbegegnung, diese hatte ich bereits auf der ersten Farm. Eine andere Horrorvorstellung war nachts aufzuwachen und eine Spinne auf mir zu haben. Noch bevor ich überhaupt deutschen Boden verlassen hatte, überkam mich morgens im Bett die Angst einer Spinnen- oder Schlangenbegegnung. Nicht gewollt – bekommen! So wache ich eines morgens in meinem Wohnwagen auf, liege noch im Halbschlaf im Bett und schaue mal wieder viel zu früh am Tage auf mein Smartphone. Ja, auch ich bin nicht immer befreit davon.
Während ich also gemütlich im Bett liege und auf mein Handy starre nehme ich irgendwann einen schwarzen sich bewegenden Schatten in meinem linken Blickfeld wahr. Ich drehe meinen Kopf nach links und da krabbelt sie. Eine fette, große Spinne läuft auf meiner Schulter in Richtung Gesicht. Die Leute, denen der Huntsman ein Begriff ist wissen wovon ich spreche. Diese Spinnenart ist nicht gefährlich, dafür aber verboten riesig. Es ist erstaunlich wie schnell man Informationen verarbeiten und dann körperlich reagieren kann. Ich schnicke die Spinne von meiner Schulter auf meine Decke, springe in einer rasanten Geschwindigkeit aus dem Bett und atme erstmal tief ein und aus. In meiner Erinnerung gibt es kaum einen Übergang vom dem Moment in dem ich waagerecht im Bett liege bis zum senkrechten Stehen neben meinem Bett. Ich kann die Spinne nicht mehr sehen, ziehe vorsichtig und langsam an der Bettdecke und sehe wie die Spinne aus meinem Bett die Wand hinauf krabbelt. Neben dem ganzen Stress finde ich dann doch noch Zeit für ein Foto. Glaubt mir ja sonst keiner! Spinnen und Schlangen wären demnach erstmal abgehandelt!!
Von dem kleinen Spinnenerlebnis abgesehen hatte ich eine verdammt gute Zeit, in meinen wundervollen vier Wohnwagenwänden. Ich habe hier im Sommer geschlafen, an heißen Tagen, an denen man sich tagsüber nicht länger als 30 Sekunden im aufgeheizten Wohnwagen aufhalten konnte. Sowie im Winter, der tatsächlich in Australien auch kalt sein kann. Es gab einige Nächte, in denen die Temperaturen unter Null waren. Wär hätte gedacht, dass ich ausgerechnet in Australien ein Fan von Wärmflaschen werde. Jeden Abend, wenn ich von dem Farmhaus zu meinem Wohnwagen lief, war ich aufs Neue fasziniert! Fasziniert von diesem atemberaubenden Sternenhimmel ganz ohne Störlichter von umliegenden Städten. Natur pur.
Ich bin im Paradies
Meine Aufgabenfelder auf der Farm sind vorwiegend die Tierversorgung, das Tiertraining und später auch die Kinderbetreuung der Feriengäste. Innerhalb kürzester Zeit werde ich zum Familienmitglied. Ich erledige nun doch immer die Einkäufe und genieße sogar Autofahrten in der Weite dieses Landes. Mir wird unheimlich viel Vertrauen entgegengebracht. Ich kann wann immer ich möchte Zeit mit den Tieren verbringen. Dreimal komme ich in den Genuss reinzuspüren wie es sich so anfühlt alleine das Leben auf einer Farm zu führen – ich darf Farmsitten, als die Besitzer im Urlaub sind. Ich bin im Paradies.
Die wohl bedeutendste Beziehung, während meines ganzen Aufenthaltes in Australien, habe ich zu Georgie, einem Schwein. Als ich auf die Farm komme ist sie erst zwei Monate alt und wiegt noch zarte 30 kg, bei meinem letzten Besuch wiegt sie ca. 140 kg, ist jedoch charmant wie eh und je. Wir gehen fast täglich spazieren. Während ich auf der Bank sitze oder Handstand übe genießt sie das saftig grüne Gras. Wir teilen so viele Momente. Ich kraule sie in den Schlaf. Sobald man sie am Bauch streichelt fällt sie auf die Seite und ist bereit für mehr Streicheleinheiten. Ich kann noch selbst den Klang und die Melodie meiner Stimme hören, wie nur ich sie rufe. Von Weitem sieht man zwei auf- und abwippende Ohren auf einen zurennen und man wird freudig und grunzend begrüßt. Für die Nacht bereite ich ihr Heubett vor, aus dem am Abend nur noch ihre Nase hervorschaut. An heißen Sommertagen geniest sie die kalten Duschen. Jeden morgen begrüßt sie freudig mit ihrer Schnauze jedes einzelne Pony und Pferd. Sie liebt Erdbeeren, Himbeeren und ganz besonders Mango, ich kann es verstehen. Früchte und Gemüse schmecken in Australien irgendwie nochmla viel intensiver! Zusammen besuchen wir die Bewohner einiger Altenheime. Als ich ein Wochenende alleine auf der Farm war und sie krank wurde, musste ich mit ihr im Kofferraum zum Tierarzt fahren. Wann fährt man schon mal mit Schwein im Kofferraum. Einer von unzähligen Momenten mit ihr, die ich niemals vergessen werde. Vor allem die darauf gefolgte notwendige Innenreinigung des Autos. An meinen letzten Tag auf der Farm verabschiede ich mich von jedem Tier. Um zu den Pferden zu gelangen muss ich ein paar hundert Meter den Hügel hinunterlaufen, Georgie weicht mir an diesem Tag nicht von meiner Seite und begleitet mich ♥
In diesem Jahr hat sich meine Beziehung zu Tieren und mein Verständnis im Tierumgang nochmal ziemlich verändert. Oft vergisst man Sachen, die man schon einmal erlernt hat und glücklicherweise wird man oft auch wieder daran erinnert. Ein weiteres Teammitglied bei unseren Altenheimbesuchen war Paddi. Paddi ist ein „schwarzes“ Schaf unter den Wollschafen. Auch wenn er nicht komplett schwarz ist, wäre er für die Wollproduktion „wertlos“. Paddi ist ganz zauberhaft. Jeden Morgen rufe ich ihn bei seinem Namen gefolgt von einem lauten Bäh. Prompt kommt ein lautes Bäh zurück und kurz darauf kommt er auch schon angerannt, um mich zu begrüßen und natürlich zu sehen, ob ich nicht etwas Essbares für ihn mitgebracht habe.
Neben der Tierversorgung darf ich auch in anderen Bereichen mithelfen. So kann ich meine Kenntnisse im Traktorfahren erweitern. Ich darf das Heu mähen, auch wenn nach meinen Fahrkünsten in den Ecken ausgebessert werden muss, ist mir Ken dankbar. Hat er doch, während ich gefahren bin, seinen Mittagsschlaf halten können. Meinen Perfektionismus darf ich beim Heuballen stapeln ausüben. Es sieht doch einfacher aus als es ist, diese riesigen Ballen mit der Traktorgabel aufzuspießen und exakt aufeinander zu stapeln. Bei Heuauslieferungen nimmt mich Ken in dem weißen alten Truck oft mit. Das Innenleben ist gefüllt von Krams und Spinnenweben. So komme ich in den Genuss viel von der umliegenden Umgebung zu sehen. Die Schönheit dieses Landes packt mich einfach immer wieder.
Im September heißt es Schafe scheren, 1200 um genau zu sein. Ich bekomme zu spüren was es heißt in der ´shearing shed´ zu arbeiten. Morgens um acht werden die Schermaschinen angeschaltet. Drei Schafscherer arbeiten auf Hochtouren, im Durchschnitt brauchen sie zwei bis drei Minuten für ein Schaf. Insgesamt sind wir zu neunt, was etwas überbesetzt ist. Ehrlich gesagt weiß ich aber nicht, wie die das sonst mit weniger Leuten hingekommen. Ich selbst bin der Meinung ich kann schnell arbeiten, aber selbst ich war noch zu langsam. Es herrscht ein rauher Ton, nicht immer so einfach für eine sensible Person wie mich. Wenn der Scherer das Fell in einem Stück geschoren hat wirft er es neben sich auf den Boden und holt sich das nächste Schaf. Der Job des ´Läufers´, also in diesem Fall meine Aufgabe, ist es in dieser Zeit die Arbeitsfläche zu kehren, das Schafsfell auf eine spezielle Art und Weise vom Boden zu heben, um es dann so auf den Prüftisch zu werfen, dass es in voller Länge ausgebreitet liegt. Auch dies sieht wesentlich einfacher aus als es ist. Zudem werden oft zwei oder im schlimmsten Fall alle drei Scherer zum gleichen Zeitpunkt fertig. Fazit: In der shearing shed arbeiten bedeutet non stop in Bewegung sein. Alle zwei Stunden gibt es eine Pause. Am Abend bin ich völlig erledigt.
Auch wenn ich die Zeit ohne Feriengäste mehr genossen habe, gab es doch auch die ein oder andere ganz besondere Begegnung. So durfte ich unter anderem den wunderbaren Flynn kennenlernen. Flynn war für zehn Tage mit seiner Familie auf Barcoos Farmstay. Flynn ist 10 Jahre alt, auch wenn ich immer dachte ich rede mit einem Erwachsenen. Nie hätte ich Gedacht, dass man mit einem Kind solch tiefegründige Gespräche führen kann. Dies hat mir mal wieder aufgezeigt wie rein und unverfälscht doch die wunderbaren Kinderseelen sind. Davon können wir uns eine große Scheibe abschneiden und vor allem sollten wir sie darin bestärken! Flynn ist ganz besonders und ich weiß, dass er gerade in der Schule eine schwere Zeit hat. Dies sind die Momente in denen die Kinder uns brauchen, in denen wir sie Stärken und eben nicht sagen sollten, stell dich nicht so an oder da musst du durch. Wir projezieren unseren Erfahrungsschatz, wobei sowieso in Frage zu stellen ist, ob der überhaupt „gut“ oder „schlecht“ ist, viel zu oft auf Kinder, die eben noch gar nicht diesen Erfahrungsschatz haben können. Oft erwarten wir viel zu viel ohne es zu reflektieren. Danke Flynn, für die ganzen Gespräche und Erkenntnisse.
Die Zeit auf der Farm war ganz besonders für mich, demnach war der Abschied auch ziemlich schwer und tränenreich. Wie fast immer hat man Erwartungen und kann aber eigentlich gar nicht wissen was einen erwarten wird. Ich bin sehr dankbar für jeden Moment, den ich erleben und mit Mensch und Tier teilen durfte. Ich habe in vielen Bereichen so viel gelernt, wie ich vorher nicht zu träumen gewagt hatte. Vor allem habe ich aber gelernt, dass es gut ist in jedem Moment aufmerksam zu sein. Aufmerksam für die Momente und Zeichen in unserem Leben. Für Menschen die eventuell nur kurz in unsere Leben treten. Es gibt immer eine Message, nur liegt es an uns ob wir offen dafür sind und was wir daraus mitnehmen.
Bilder sagen oft mehr als 2180 Worte. Hier geht es zur Galerie und mehr Eindrücken zu meiner Zeit auf Barcoos Farmstay.
Denkst auch du darüber nach während deines Work & Holiday Aufenthaltes oder einfach nur mal so auf einer Farm zu arbeiten? Gerade, wenn man aus dem hektischen Stadtalltag kommt, ist das eine ganz wundervolle und kontrastreiche Erfahrung. Zudem kannst du als Wwoofer/Helper Geld sparen und lernst Land und Leute richtig kennen. Es gibt online einige Plattformen, wie helpx, wwoofinternational.org oder Wwoof.net über die du international Farmen finden kannst.
Richtig toller Artikel, Du nimmst einen gefühlt mit auf die Farm! 🙂
Danke! ♥ Es was ja auch eine richtig tolle Zeit 🙂